Band 22 erlaubt es, die biographischen Mosaiksteine anzureichern und in eine chronologische Ordnung zu bringen. Hier wird in zwei Teilen, also in zwei umfangreichen Bänden, ein Freud-Diarium errichtet, das erste reicht von 1856 bis 1913, das zweite von 1914 bis 1939. In den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts hatte Gerhard Fichtner begonnen, alle datierbaren Ereignisse in Freuds Leben zu erfassen. Diese Chronik wird nun weitergeführt; aus allen möglichen Quellen werden Daten extrahiert und aufgenommen, wenn sie taggenau erfasst werden können. In diesen Bänden lässt sich ebenfalls gut blättern. Vor dem erstaunten Leser entfaltet sich, knapp wiedergegeben, der Alltag Freuds, seine Gäste, seine Arbeitsgewohnheiten, seine vielen Operationen und ärztlichen Konsultationen in den letzten Lebensjahren. Er weilt 1930 zwischen Mai und Juli in Berlin-Tegel zur Prothesenanpassung. Auch im Ärztehaus des Sanatoriums aber empfängt er, wie wir erfahren, Analysand:innen. Am 21.09.1932 wird Freud vom österreichischen Kampfkomitee gegen den Krieg eingeladen, weil er einen Antikriegsaufruf unterschrieben hatte, eine Einladung, die er aus gesundheitlichen Gründen ablehnen muss. Im Januar 1938 kommt Felix Boehm, der politisch sich den Nazis andienende deutsche Psychoanalytiker, nach Wien, um Freud die Situation im nationalsozialistischen Berlin zu erläutern. Gern möchte man wissen, was Freud ihm zu sagen hatte. Am 12.03.1938 notiert Freud nach dem Einmarsch deutscher Truppen in Österreich: »Finis austriae». Zwischen 04. und 06. Juni 1938 emigriert Freud nach London. Diese willkürlich gezogenen Leseproben sollen den Reichtum des Diariums aufzeigen, das Freuds Leben beinahe Tag für Tag nachzuvollziehen erlaubt.