Grundlagenwerk zum Epistemischen Vertrauen

Es ist eine Herausforderung, eine Rezension zu solch einem umfassenden Grundlagenwerk zu verfassen, wie es die Herausgeber vorgelegt haben. Der Sammelband besteht aus zwei Teilen. Im ersten Teil wird ein Überblick über die aktuelle wissenschaftliche Debatte zu den Grundlagen des Konzepts des epistemischen Vertrauens gegeben. Dabei stellt sich die Frage, inwiefern es etwas Neues und Eigenständiges darstellt. Den Vorwurf, womöglich «alter Wein in neuen Schläuchen» zu sein, muss sich die Mentalisierungsbasierte Therapie (MBT) seit Beginn anhören. Die Herausgeber betonen deshalb, dass es ihnen vor allem um eine Verfeinerung des Konzepts und eine bewusstere klinische Anwendung gehe. In diesem Sinn kann das Buch vor allem im zweiten Teil glänzen, in dem ein umfassender Einblick in verschiedene Anwendungsbereiche wie die Therapie von Borderline-Persönlichkeitsstörungen, die psychosomatische Versorgung, Online- und Gruppentherapie, aber auch die Arbeit mit Teams gegeben wird. Besonders hervorzuheben ist das Kapitel von John Allen, der Vertrauen als zentrale Komponente der therapeutischen Entwicklung und Identität sowie als einen übergreifenden allgemeinen Wirkfaktor von Psychotherapie versteht. Er liefert damit einen wichtigen Beitrag zur aktuellen Debatte von transtheoretischen Wirkmechanismen in der Psychotherapieforschung. Der Sammelband zeichnet sich durch eine durchgehend empathische und wohlwollende Haltung gegenüber Patient:innen aus, wonach Mentalisierungsschwierigkeiten weniger als entwicklungspsychologisches Defizit, sondern vielmehr als erfolgreiche Adaptation an eine vertrauensunwürdige Umwelt angesehen werden. Mittels der Veranschaulichung des Konzepts des epistemischen Vertrauens in Fallvignetten aus der Arbeit mit Heranwachsenden, psychosomatischen Patient:innen sowie aus der Gruppentherapie wird das eigene therapeutische Bewusstsein geschärft, die therapeutische Beziehung als einen vertrauenswürdigen Ausgangspunkt in einer Welt zu gestalten, in welcher epistemisches Vertrauen adaptiv ist. Insgesamt gelingt es den Herausgebern hervorragend, mit dem Fokus auf epistemisches Vertrauen als Voraussetzung für Beziehungsarbeit und Veränderungsprozesse in der MBT, und darüber hinaus, eine umfassende, einfühlsame, schulenübergreifende und äusserst wertvolle Perspektive zu eröffnen.