Ambulante und stationäre Versorgungslage für traumatisierte Menschen
Eine Querschnittsstudie in der Deutschschweiz
Peer-review

Ambulante und stationäre Versorgungslage für traumatisierte Menschen

Original Article
Issue
2024/01
DOI:
https://doi.org/10.4414/sanp.2023.1189188975
Swiss Arch Neurol Psychiatr Psychother. 2024;175(01):17-22

Affiliations
a UniDistance Suisse, Brig, Switzerland
b Libereco Kompetenzzentrum für Trauma und Dissoziation, Recherswil, Schweiz
c Netzwerk: Trauma & Dissoziation, Solothurn, Schweiz
d Institut für medizinische Psychologie, Universitätsklinikum Heidelberg, Heidelberg, Deutschland, Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg, Heidelberg, Deutschland

Published on 14.12.2023

Abstract

Introduction: Trauma-related disorders such as post-traumatic stress disorder or dissociative identity disorder have a prevalence of 2%. Therefore, they should not be underestimated. To this date, no study in Switzerland has addressed the care situation of traumatic patients and descriptively analyzed it. The aim of this cross-sectional study is to identify the state of the in- and outpatient care for traumatized people in German-speaking Switzerland.
Methods: The analysis of outpatient therapists was based on professional associations and training societies (SITT, SIPT, and DeGPT) and the number of EMDR (Eye Movement Desensitization and Reprocessing) therapists, while the list of members of the Association of Outpatient Psychiatric Nurses (Verein ambulanter Psychiatrischer Pflege) served as a reference for the number of outpatient psychiatric nurses. For the inpatient data, a total of 26 clinics in German-speaking Switzerland were contacted between 1 November 2022 and 12 December 2022. The number of people affected was estimated based on the prevalence and population size of the respective canton.
Results: A total of 500 psychotrauma therapists and 313 care professionals were identified. The number of potentially affected patients was broken down by canton. The average ratio of patients per therapist was 408 patients (standard deviation: 47.8; median: 407, p25: 282; p75: 519). Regarding inpatient care, only six out of 26 clinics had an inpatient or outpatient program. There were 90 inpatient (waiting time: 4.5 months) and 370 outpatient places (waiting time: 10.9 months).
Discussion: Our study shows that supply does not meet the demand and that further steps need to be taken to improve care for traumatized people. Further research is needed to map the care situation and ultimately bring about positive change.
Keywords: Health policy; neurotic disorders; stress-related disorders; somatoform disorders; prevention; public mental health; psychotherapy; psychotraumatology

Einleitung

Nach ICD-11 sind Traumata definiert als Ereignis oder Serie von Ereignissen von aussergewöhnlicher Bedrohlichkeit oder katastrophenartigem Ausmass. Für komplexe Formen wird zudem das traumatische Ereignis hinsichtlich Dauer und Intensität spezifiziert [1]. Rund 30% der Frauen und 20% der Männer erfahren im Laufe ihres Lebens mindestens ein traumatisches Ereignis [2]. Diese Daten, die aus dem deutschsprachigen Raum stammen, implizieren, dass im Schnitt jede vierte Person Gefahr läuft, eine mögliche Traumafolgestörung zu entwickeln [2]. Allerdings bilden nicht alle Betroffenen, die ein Trauma erleben, auch tatsächlich eine Traumafolgestörung aus. Unter dem Begriff Traumafolgestörungen werden die (komplexe) posttraumatische Belastungsstörung (PTBS), dissoziative Störungen oder Persönlichkeitsstörungen [3] verstanden. Treten diese Ereignisse in der Kindheit auf, so spricht man auch von aversiven Kindheitserlebnissen [4]. Die Lebenszeitprävalenzen für aversive Kindheitserlebnisse sind gemäss einer Meta-Analyse [5] folgende: 12.7% für sexuellen, 22.6% für physischen und 36.6%für emotionalen Missbrauch in der Kindheit. Zudem wurde in rund 16.3% der untersuchten Fälle physische und in 18.4% emotionale Vernachlässigung festgestellt. Aversive Kindheitserfahrungen können zu Traumafolgestörungen führen, sind aber häufig auch mit anderen psychiatrischen Erkrankungen assoziiert [6]. Hinzu kommt, dass die Schwere und Dauer der aversiven Kindheitserfahrungen die Wahrscheinlichkeit erhöht, im Erwachsenenalter eine Depression, PTBS oder eine dissoziative Störung zu entwickeln [7].
Maercker und seine Forschungsgruppe geben die Prävalenz von PTBS mit 2.3% an [2], während die dissoziative Identitätsstörung mit einer Prävalenz von 1% auftritt [8]. Diese Zahlen stehen in Einklang mit anderen europäischen Studien [9]. Die Prävalenz ist dabei tiefer als in einem stationären Setting und zudem bedeutend geringer als in Nordamerika [10–12]. Studien aus der Schweiz legen eine 12-Monats-Prävalenz von 1.9% für Erwachsene nahe, während für Adoleszente eine Prävalenz von 4.2% angegeben wird [13, 14].
In der Psychotraumatologie werden verschiedene Arten von Traumata unterschieden. So gibt es Typ-I- und Typ-II-Traumata. Erstere sind einmalig oder dauern nur für kurze Zeit an, bei Letzteren handelt es sich hingegen um Traumata, die über einen längeren Zeitraum und mehrmalig erlebt werden. Weiterhin lassen sich Traumata danach unterscheiden, ob sie durch die Umwelt oder durch Menschengewalt verursacht wurden. Im ersten Fall werden sie als akzidentielle Traumata bezeichnet, im zweiten Fall als man-made Traumata [15].
Auch der Kontext in dem sich das Trauma ereignet (soziale Ebene), die individuelle Vulnerabilität bzw. Resilienz (biologische Ebene) und die nachfolgende psychische Verarbeitung (psychische Ebene) sind entscheidend dafür, wie sich die psychische Gesundheit des Opfers in der Folgezeit entwickelt. Dieser biopsychosoziale Ansatz ist im Kontext von Traumafolgestörungen von zentraler Bedeutung. Dabei weisen Betroffene unterschiedliche Suszeptibilitätsfaktoren auf [16, 17]. Als Ursache für eine psychische Stressreaktion wird vor allem die Interaktion zwischen Veranlagung und Triggerfaktoren (z. B. einem Trauma) diskutiert, die schliesslich psychische Störungen auslösen kann [18].
Mittlerweile wurden zahlreiche Interventionen für traumatisierte Menschen und von PTBS betroffene Patient:innen entwickelt und evaluiert [19]. Das Wissen darüber, dass aversive Kindheitserlebnisse bei Erwachsenen im Rahmen einer Therapie besonders beachtet werden müssen [20] und dass das Vorhandensein von Traumata bei Patient:innen generell besondere Anforderungen an die Therapeut:innen stellt, nimmt kontinuierlich zu. In einer Meta-Analyse, die im Jahr 2020 durchgeführt wurde, analysierten die Autor:innen 114 RCT’s, die zeigten, dass eine traumafokussierte kognitive Verhaltenstherapie (KVT-T) und die EMDR (Eye Movement Desensitization and Reprocessing ) Therapie erfolgsversprechend sind [21]. Diese beiden Therapien werden auch in den Behandlungsleitlinien der Deutschsprachige Gesellschaft für Psychotraumatologie (DeGPT) empfohlen [22]. Dabei scheint eine frühe Identifikation einer Traumafolgestörung und in diesem Sinne auch für eine nachfolgende Therapie sinnvoll, da dies das Auftreten einer chronischen PTBS vermindert [23].
Unseres Wissens gibt es in der Schweiz keine laufende Studie zur Versorgungslage von Deutschschweizen Traumapatient:innen. Diese ist aber zwingend nötig, da die Versorgungslage bereits in der Vergangenheit ungünstig war und sich aktuell weiter verschlechtert [24–27]. Hinzu kommt, dass Patient:innen mit Traumata besondere Bedürfnisse in Bezug auf die Therapie haben; diese sollte traumaspezifisch ausgerichtet sein [22, 28].

Ziel

Unser primäres Ziel ist es, die Anzahl von traumaspezifischen Therapieplätzen im stationären Bereich in der deutschsprachigen Schweiz systematisch zu erfassen sowie die ambulanten Plätze abzuschätzen und sie jeweils dem geschätzten Bedarf gegenüberzustellen, um einschätzen zu können, wie sich Angebot und Nachfrage von Traumatherapieplätzen zueinander verhalten. Mit dieser Arbeit leisten wir einen Beitrag zur Gesundheitsversorgung traumatisierter Menschen in der Deutschschweiz und möchten auf diese Weise darauf hinweisen, wie wichtig traumaspezifische Therapien sind.

Methoden

Potenzielle Patientenpopulation

Um die Anzahl potenziell Betroffener mit PTBS und DIS zu ermitteln, werden die Populationen eines jeden Kantons [29] mit dem Wert 0.02 (Prävalenz 2% nach [2, 8, 13, 14]) multipliziert. Wir vernachlässigen dabei bewusst, dass die Prävalenz von 2% nur eine Schätzung darstellt und weitere Traumafolgestörungen ausschliesst, was auch aufgrund möglicher Komorbiditäten ein Bias darstellen könnte.

Auswahl und Anzahl der Fachpersonen

Die Anzahl der Therapeut:innen ermittelten wir durch Aufsummierung der in SITT, SIPT und DeGPT sowie EMDR Schweiz gelisteten Therapeut:innen, während wir die Anzahl ambulanter Psychiatriepflegender des VAPP zusammenrechneten. Diese Personen sind in einer Datenbank hinterlegt. Uns ist bewusst, dass bei dieser Vorgehensweise ein Bias entstehen könnte, da wir nicht alle registrierten Traumatherapeut:innen der Deutschschweiz mit den Fortbildungsinstitutionen und der Fachgesellschaft abdecken.

Informationen aus den psychiatrischen Kliniken

Im Rahmen dieser Querschnittsstudie wurden alle Deutschschweizer Kliniken (n = 26) mit einem psychiatrischen Schwerpunkt zwischen dem 1. November und dem 12. Dezember 2022 per E-Mail kontaktiert. Diese E-Mails beinhalteten Fragen dazu, ob die Klinik eine traumaspezifische Station führt und falls ja, wie viele Plätze diese umfasst und wie lang die Wartezeit ist.

Analyse

Aus der so ermittelten Anzahl an Therapeut:innen, Psychiatriepflegenden und potenziellen Patient:innen lässt sich errechnen und darstellen, wie viele Patient:innen auf einen Therapeuten oder eine Therapeutin fallen. Weiter berechnen wir die relativen Häufigkeiten von Therapeut:innen und Pflegefachpersonen pro 100.000 Einwohnern. Wir werden aufzeigen, wie stationäre und ambulante Angebote in der Schweiz verteilt sind. Die Berechnungen werden zum einen in Excel realisiert, da die Daten überschaubar sind und wir eine rein deskriptive Studie durchführen. Die graphische Darstellung und die deskriptive Beschreibung der Zusammenhänge erfolgen einerseits mit Tableau und andererseits mit Jamovi [30].

Resultate

Anzahl Betroffener

Die Gesamtzahl potenziell Betroffener von PTBS und DIS in der Deutschschweiz wurde auf 134.133 geschätzt. Allerdings haben wir nicht berücksichtigt, dass beide Erkrankungen gleichzeitig als Komorbiditäten auftreten können. Dies wird aber dadurch aufgefangen, dass wir unsere Berechnungen auf der Basis einer niedrigen Prävalenz anstellten. In Abbildung 1 sind die geschätzten Anzahlen Betroffener pro Kanton aufgelistet.
Abbildung 1: Anzahl betroffener Personen pro Kanton.
© 2023 Mapbox, OpenStreetMap

Traumatherapeut:innen und ambulante Psychiatriepflegende

Insgesamt wurden in der deutschsprachigen Schweiz 500 Traumatherapeut:innen identifiziert (n = 500, SD = 9.13; Mittelwert = 25; Median = 10.5; p25 = 4.25; p75 = 23, siehe Tab. 1). Die Mindest- und Maximalwerte in den einzelnen Kantonen bewegen sich bei den Traumapsychotherapeut:innen von 0-179. Die höchste Anzahl der ambulanten Traumatherapeut:innen verzeichnet der Kanton Zürich mit 179 Traumapsychotherapeut:innen, der Kanton Uri listet hingegen keine Traumatherapeut:innen. Der Durchschnitt lag bei 6.58 Therapeut:innen pro 100.000 Einwohner, der Median bei 4.83 und die p-Quartile p25 (3.78) und p75 (6.76). Der Kanton Freiburg weist die höchste Zahl von Traumatherapeut:innen pro 100.000 Einwohner auf. Im VAPP sind 316 (n = 316; Mittelwert 17.9; SD = 29.4; Median = 9, p25 = 4, p75 = 16.8) Psychiatriepflegende gelistet. Die Mindest- und Maximalwerte in den einzelnen Kantonen bewegen sich von 3-131 für ambulante psychiatrische Pflegende. Bei den ambulanten Psychiatrie-Pflegefachpersonen kamen im Schnitt 6.45 dieser Fachkräfte auf 100.000 Einwohner (SD = 7.12; Median = 2.87; p25 = 2.11; p75 = 7.86). Führend waren Uri, Obwalden und Glarus (siehe Tab. 1).

Verhältnis Patient:innen zu Therapeut:in

Die Anzahl Patient:innen pro Therapeut:in liegt in den Kantonen in einem Bereich von 0 (Minimum) bis 6984 (Maximum). Der Mittelwert beträgt 408 Patient:innen pro Therapeut:in und der Median 407 (SD = 47.8; p25 = 282; p75 = 519).
Abbildung 2: Anzahl Patient:innen (P) pro Therapeut:in (T), aufgeschlüsselt nach Kanton.

Stationäre Versorgung

Von insgesamt 26 Deutschschweizer Kliniken haben 25 geantwortet (96.15%), von denen allerdings nur 24% (n = 6) eine traumaspezifische Station führen (siehe Abb. 3). Ambulante Therapieplätze wurden von fünf Kliniken berichtet (20%). Im Durchschnitt verfügen Kliniken mit einem stationären Angebot über 18 Therapieplätze (SD = 5.5; Median = 14; p25 = 11; p75 = 18), während die Anzahl ambulanter Therapieplätze in Kliniken mit einem Mittelwert von 74 Plätzen (SD = 28.6; Median = 80; p25 = 20; p75 = 120, siehe Tab. 2) deutlich höher ist.
Abbildung 3: Flow Chart der angefragten Kliniken; n=Anzahl/durchschnittliche Wartezeit; MT = Monate.

Wartezeit und Verteilung der Klinik-Angebote

Die Wartezeit beläuft sich bei den stationären Therapieangeboten auf durchschnittlich 4.5 Monate (SD = 1.38; Median = 3; p25 = 3; p75 = 7.5), während man bei den ambulanten Therapieangeboten im Schnitt 10.9 Monate (SD = 8.38; Median = 3 p25 = 2.63; p75 = 11.3, siehe Tab. 2) wartet. Bei einer Gesamtzahl von 134.133 potenziellen Patient:innen in der Schweiz entfallen rund 689 Patient:innen auf einen ambulanten oder stationären Therapieplatz, während es pro Behandlungsplatz in der Klinikambulanz 193.83 Patient:innen gibt. Die stationären Plätze sind auf drei Kantone begrenzt (Aargau, Zürich, Thurgau, siehe Abb. 4) und die ambulanten Angebote der Kliniken beschränken sich auf die Kantone Aargau, Baselstadt, Zürich und Thurgau (siehe Abb. 5). Die Kantone Zürich (4 Kliniken), Thurgau (2 Kliniken) und Basel-Stadt (2 Kliniken) weisen dabei die meisten Kliniken auf.
Abbildung 4: Anzahl stationärer Trauma-Therapieplätze pro Kanton.
© 2022 Mapbox, OpenStreetMap
Abbildung 5: Anzahl spezifischer ambulanter Traumatherapie-Plätzen in Kliniken.
© Mapbox, OpenStreetMap

Diskussion

Unsere Analyse zeigt, dass ein:e Traumatherapeut:in im Schnitt 408 Patient:innen mit einer PTBS oder DIS behandeln muss und auf eine Psychiatriepflegefachperson 792 Patient:innen entfallen. Insgesamt führen knapp ein Viertel (24%) der deutschschweizer Kliniken ein traumaspezifisches, stationäres Angebot und fünf Kliniken bieten gesamthaft 90 ambulante Therapieplätze an. Stellt man diese Zahlen den insgesamt 134.133 Betroffenen gegenüber, die unter einer PTBS oder einer DIS leiden, so zeigen unsere Zahlen, dass sowohl die ambulante wie auch die stationäre Versorgung von Menschen mit einer Traumafolgestörung in der Deutschschweiz defizitär ist.
Bereits in früheren Artikeln wurde auf eine Unterversorgung von Menschen mit einer Traumafolgestörung hingewiesen [31,32]. Menschen mit einer psychischen Erkrankung sind generell eher unterversorgt. Im Bereich von Traumafolgestörungen ist diese Ausgangslage jedoch besonders prekär, da eine nicht traumasensitive Therapie bei traumatisierten Patient:innen auch Schaden anrichten kann [33, 34].

Ambulante und stationäre Versorgung

Im Bereich der ambulanten Versorgung fällt auf, dass nur ein Bruchteil der Betroffenen Zugang zu einem traumaspezifischen Therapieangebot hat und dies, obwohl die Leitlinien der DeGPT besagen, dass allen von PTBS Betroffenen eine traumaspezifische Therapie angeboten werden sollte [22]. Wir haben gezeigt, dass die Kliniken mit stationärem Angebot in den Kantonen Zürich, Thurgau und Aargau zu finden sind. Diese ungleiche Verteilung ist teilweise mit langen Reisezeiten für die Patient:innen verbunden. Wir haben mit unserer Analyse herausgefunden, dass die Wartezeiten für einen stationären Aufenthalt im Durchschnitt 4.5 Monate betragen. Im Kontrast dazu ergibt sich bei der von den Kliniken angebotenen ambulanten Behandlung eine Wartezeit von fast 10.9 Monaten.
Wir sind bei der Berechnung der Anzahl Betroffener konservativ von einer Prävalenz von 2% ausgegangen. Daraus ergab sich ein Durchschnitt von 6707 Patient:innen in den Kantonen. In einem Kanton, in dem es keine Klinik gibt die auf Traumata spezialisiert ist, muss daher die gesamte Last von Personal getragen werden, das in dieser Hinsicht nicht genügend geschult ist.
Dies ist aber nicht zuletzt darauf zurückzuführen, dass traumaspezifisch ausgebildetes Personal fehlt. Hinzu kommt, dass die Therapie von Traumafolgestörungen in der Regel psychotherapeutisch (stationär oder ambulant) erfolgt und Patient:innen sehr viel abverlangt. Dies ist wichtig, weil traumatische Erlebnisse als transdiagnostischer Faktor für mehrere Formen von Trauma-Erkrankungen, die nicht auf den ersten Blick offensichtlich sind, mit ursächlich sein können [35].
Ein weiteres Problem sind traumatisierte Geflüchtete, deren Barrieren für den Zugang zu psychologisch-psychiatrischer Hilfe aufgrund kultureller, sprachlicher oder religiöser Aspekte sehr hoch sind. Flüchtlinge weisen höhere Raten an PTBS als die Normalbevölkerung auf [36]. Daher braucht es hier gut ausgebildete und mehrsprachige Personen, die sich gegenüber den Geflüchteten kultursensitiv verhalten.

Limitationen

Unsere Querschnittsstudie weist einige Limitationen auf. So waren wir nicht in der Lage, alle Traumatherapeut:innen der Schweiz ausfindig zu machen, sondern mussten uns auf die drei grössten Fachgesellschaften SITT, SIPT und DeGPT sowie EMDR Schweiz verlassen. Wir gehen davon aus, dass noch weitere ambulante Therapeut:innen eine Weiterbildung in Traumatherapie oder Traumapädagogik absolviert haben. Jedoch finden sich höchstwahrscheinlich auch Doppelungen, da einige Therapeut:innen zum Beispiel bei EMDR Schweiz und einer weiteren Fach- oder Fortbildungsgesellschaft registriert sind. Deswegen sind weitere Studien zur Traumaversorgung nötig, die die Lage der Fachpersonen mit traumaspezifischer Aus- und Weiterbildung genauer abbilden. Bei der ambulanten Pflegeversorgung mussten wir ebenfalls auf den VAPP zurückgreifen. Daher ist zu erwarten, dass auch hier die Zahl der Psychiatriepflegefachpersonen höher ist, als wir angenommen haben.
Andererseits ist hervorzuheben, dass wir die Anzahl potenzieller PTBS und DIS-Patient:innen mit einer Prävalenz von 2% schätzen, was jedoch gemäss einiger Studien [2, 8, 13, 14] noch eine Unterschätzung darstellt. Zudem sind PTBS und DIS nicht die einzigen Traumafolgestörungen, auf die wir aufgrund fehlender Mittel nicht eingehen konnten. Dies macht unser Resultat noch wichtiger, weil wir bereits bei nur zwei Krankheitsbildern, die wir isoliert betrachteten, ein Defizit feststellen konnten. Zudem begeben sich nicht alle Patient:innen in Therapie, auch wenn grundsätzlich allen Betroffenen ein Therapieplatz angeboten werden sollte.
Trotz dieser Limitationen bietet diese Studie einen wertvollen Einblick in die psychologisch-psychiatrische Versorgung von traumatisierten Menschen in der Schweiz. Damit ist eine Grundlage für Nachfolgestudien geschaffen, die die Traumaversorgung in der Schweiz detaillierter und umfassender abbilden.
Eine weitere Limitation besteht darin, dass gerade in den bilingualen Kantonen auch eine Therapie in der jeweils anderen Sprache wahrgenommen werden könnte (z.B. Wallis und Kanton Waadt). Nachfolgestudien sollten daher die gesamte Schweiz und die Angebote in den verschiedenen Sprachen berücksichtigen.

Schlussfolgerung

Eine Stärke unserer Studie liegt darin, dass wir Pionierarbeit in dem Sinne leisten, dass unsere Studie als erste in der Schweiz die Versorgungslage spezifisch für zwei Traumafolgestörungen darstellt. Wir konnten aufzeigen, dass in Bezug auf Traumafolgestörungen noch zu wenig Therapieplätze vorhanden sind und sich die stationären Angebote auf wenige Kantone reduzieren lassen. Daher ist weitere Forschung über die Art der Traumatherapie, die Befragung von Betroffenen und eine quantitative und qualitative Analyse der Gründe notwendig, weshalb viele Kliniken keine traumaspezifische Station führen. Traumatische Erlebnisse sind ein Mitfaktor für zahlreiche Erkrankungen. Mit einem spezifischen Therapieangebot wären die positiven Auswirkungen auf die Lebensqualität wesentlich höher. Um die Versorgung von Menschen mit Traumafolgestörungen in der Schweiz abzubilden und längerfristig zu verbessern, sind weitere Studien erforderlich. Eine erste Bestandesaufnahme bezüglich der Aus- und Weiterbildung in Traumapädagogik und Traumatherapie befindet sich im Supplement File.

Abkürzungen

DeGPT Deutschsprachige Gesellschaft für Psychotraumatologie
DIS Dissoziative Identitätsstörung
ECTS European Credit Transfer System
ETHZ Eidgenössisch Technische Hochschule Zürich
KVT-T Traumafokussierte kognitive Verhaltenstherapie
NA Nicht verfügbar
Med-HSG Medizinische Universität St. Gallen
MT Monate
OBSAN Schweizerisches Gesundheitsobservatorium
P Patient:in
P25 Das 25%-Quartil, d.h. 25% der Werte liegen darunter und 75% darüber.
P50 Median: 50% der Daten befinden sich ober- bzw. unterhalb dieses Wertes
P75 Das 75%-Quartil, d.h. 25 der Werte liegen oberhalb und 75% darunter.
PFL Pflegefachperson
PTBS Posttraumatische Belastungsstörung
RCT Randomized controlled study (randomisierte kontrollierte Studie)
SD Standardabweichung
SIPT Schweizerisches Institut für Psychotraumatologie
SITT Schweizerisches Institut für Traumatherapie
T Therapeut:in
Unibas Universität Basel
Unibe Universität Bern
Unifr Universität Fribourg
UZH Universität Zürich
VAPP Verein ambulante psychiatrische Pflege
ZHAW Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften
Chantal Ruchti, BSc Humanmedizin,
Psychologiestudentin UniDistance Suisse, Brig, Switzerland
Forschungsassistentin Libereco Kompetenzzentrum für Trauma & Dissoziation
Kleinmattstrasse 7
CH-6003 Luzern
chantal.ruchti[at]stu.fernuni.ch
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Seraina Lerch, M. Sc. Psych.
Doktorandin Universität Heidelberg,
Wissenschaftliche Mitarbeiterin
seraina.lerch[at]psychologie.ch
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Danksagung
Wir danken Dr. med. Daniel Dietrich und Dr. med. Thomas Fuchs für das Korrekturlesen.
Ethics Statement
Die vorliegende Analyse fällt nicht unter das Humanforschungsgesetz. Es wurden keine Versuchspersonen rekrutiert, sondern öffentlich zugängliches Wissen analysiert. Aus diesem Grund wurde kein Ethikantrag gestellt und auch keine Nichtzuständigkeitsabklärung abgegeben.
Conflict of Interest Statement
Die Autoren haben deklariert, keine potentiellen Interessenskonflikte zu haben.
Data Availability Statement
Die Datensätze, die während der aktuellen Studie erzeugt und/oder analysiert wurden, sind auf Anfrage bei der korrespondierenden Autorin erhältlich.