Joachim Küchenhoff (Hrsg.): Psychoanalyse und Psychopharmakologie, Grundlagen, Klinik, Forschung

Book Review
Issue
2017/06
DOI:
https://doi.org/10.4414/sanp.2017.00509
Swiss Arch Neurol Psychiatr Psychother. 2017;168(06):188

Published on 20.09.2017

Joachim Küchenhoff (Hg.)

Psychoanalyse und Psychopharmakologie. Grundlagen, Klinik, Forschung

Stuttgart: Kohlhammer Verlag 2016.
222 Seiten, 4 Abb., 2 Tab.
Preis: € 36,00.
ISBN: 978-3-17-028432-6.
Das vorliegende spannende Werk befasst sich mit der quasi tabuisierten Fragestellung der Beziehung von Psychoanalytischer Behandlung und Medikation.
Lange Zeit war dieses Thema nahezu obsolet. Psychoanalytische Behandlung und der Analytiker als Pharmakologe liessen sich kaum vereinbaren. Umso mehr gelingt es mit frischen Perspektiven und Denkanstössen zum Thema, die Pharmakologie als Teil der Behandlung zu verstehen.
Küchenhoff gibt im ersten Beitrag einen ­Überblick der Beiträge zu den integrativ-­kritischen Ansätzen von Pharmakologie und Psycho­analyse. Was im Behandlungsraum passiert, ist immer schon für das Übertragungs- und Gegenübertragungsgeschehen von Bedeutung und somit auch der Einsatz von Medikamenten.
Ansätze der Integration zeigten sich schon früh mit dem Ansatz der bio-psycho-sozialen Medizin realisiert. Mentzos setzte sich für die Behandlungsfähigkeit des Patienten mit der nötigen Ich-Stärkung durch Psycho­pharmaka ein. Auch Fonagy und Gabbard ­sahen die Vorteile mit Psychopharmaka­behandlung, welche die Auswirkungen von Spaltungserleben zugunsten einer weniger spannungsgeladenen therapeutischen Beziehung abmildern können.
Letztlich stützt sich Küchenhoff auf die vier Achsen des Operationalisierten Psychodynamischen Diagnostik (OPD) mit der grundsätzlichen Fage, was sich real in der therapeu­tischen Beziehung durch die Medikation verändern könnte – ein sehr hilfreicher Ansatz realer Überprüfung.
Rommel untersucht kritisch die Indika­tionen der Pharmakotherapie bei Persönlichkeits­störungen mit der Überlegung, dass es bis heute zwar Empfehlungen, aber keine ­gesicherten Nachweise gibt, welche der ­Substanzen überhaupt hilfreich sind.
Maio stellt prinzipiell in Frage, dass Medi­kamente das Verstehen psychisch kranker Menschen nicht ersetzen kann. Diese ethische Fragestellung verweist die Medikation an den richtigen Ort in der Beziehung zwischen ­Psychoanalyse und Medikament. Das Zitat der Murphy-Studie unterstreicht den für den Therapieerfolg wichtigen Faktor: «Mit jemandem reden, der mich versteht» (Murphy et al. 1984). Letztlich kann aber die Fähigkeit zu ­reden und sich zu öffnen unter Umständen erst durch ein Medikament ermöglicht werden.
Leuzinger-Bohleber schafft den Kontext der Medikation über die Neurowissenschaften, in welchem Körper und Seele in Abhängigkeit voneinander sich in einer «laufend senso­motorischen Koordination» befinden. Diese erst ermöglichen die Inter­aktionen, die sie mit zahlreichen Praxisbeispielen erläutert.
Münch betrachtet die Synergien durch die Gabe von Medikamenten bei psychotischen Patienten. Die Medikation wird als Objekt ­verstanden. Das Präparat wird vom Behandler gegeben und vom Patienten aufgenommen und ist als zutiefst interaktionelles Geschehen zu beurteilen. Die Medikation fungiert dabei in einem Balanceakt ohne Intrusion und Überwältigung im Sinne einer Zuwendung.
In dem Beitrag von Happach wird u.a. die schwierige Beziehung des Psychiaters bei der Gabe der Zwangsmedikation zwischen den ­gesellschaftlichen Bedürfnissen einerseits und dem Individuum anderseits mit Goldoni als «Diener zweier Herren» zitiert. Der Psychiater befindet er sich hier im Spannungsfeld zwischen Kontrolle und Diszi­plinierungsmassnahmen und dem Wohl des Einzelnen, das es letztlich als höchstes ethisches Prinzip zu achten gilt.
Böker greift die Dynamik und Interaktion von Psychopharmakologie und Psychotherapie auf. Er unterstreicht die Prozesse von Psychotherapie und Psychopharmakotherapie und ihren günstigen Wechselwirkungen auf see­lischer sowie neurobiologischer Grundlage.
Ein sehr einfühlsamer Beitrag findet sich auch von Bürgin und Steck zur Behandlung von ADHS Kindern, die sich in einer tiefen Not befinden. So wird einerseits an das Ver­stehen der erwachsenen Bezugspersonen ­appelliert und andererseits aber auch die Möglichkeit der Gesamtberuhigung des Systems durch Medikation für durchaus angemessen gehalten.
Zeeck verweist bei der Behandlung von Patientinnen mit Bulimie bei Verordnung von SSRI im Rahmen der Psychotherapie auf die Notwendigkeit, die konsequente Unterscheidung der inneren und äusseren Räume und die Verbindung zwischen beiden immer wieder reflektierend herzustellen.
Dieses umfassende Buch, das aus verschiedensten Blickwinkeln das Thema «Analyse und Psychopharmaka» abhandelt, ist als Gesamtwerk sehr anregend, aber auch als Nachschlagwerk gut nutzbar.